»Lyrik und Prosa unserer Zeit« –
eine sozialkulturelle Wertnote

kulturissimo. Kulturzeitung des luxemburgischen »Tageblatt«.
Rezensent: Carmen Heyar

Die Anthologie-Reihe »Lyrik und Prosa unserer Zeit« stellt eine sozialkulturelle Wertnote dar, in der sich zeitorientierte Schriften präsentieren, die allesamt dem professionellen Lektorat von Dr. Manfred S. Fischer vorgelegt werden.

Zwischen 250 bis 800 Seiten umfasst die auf hochwertigem, satiniertem Wertdruckpapier zwei- bis dreimal jährlich erscheinende Lyrik und Prosa unserer Zeit, mit Prägedruck, Fadenheftung, Lesebändchen, farbigem Schutzumschlag und schließlich mit einem exquisiten Buchsatz und fachkundigen Typographie ausgestattet. Schriftsteller wie Krolow, Hanauer, A. Mohn oder C. C. Parise publizieren hier.

Gesellschaftskritische formale Schriftkunst in der Gestaltung einer Anthologie wie dieser bildet im Ensemble ein Dokument, das wie ein Archiv funktionieren kann – in dem nachhaltig die sozialen Aspekte des Zeitgeschehens in der literarischen Rezeption recherchiert werden können. Zwischen 1991 und 2005 erschienen 15 Bände (»Alte Folge«), und die »Neue Folge« (N.F.) führt zur Zeit 8 Bände. Umschlag und Gesamtgestaltung konzipiert yen-ka, Druck und Bindung der Bücher erfolgen bei der Fuldaer Verlagsanstalt, Herausgeberin ist Karin Fischer.

Lyrik und Prosa in der Strategie

Lyrik besteht ja neben der Formgebung auch darin, mit der Beschreibung einer Situation bzw. einer Stimmung eine Impression zu reproduzieren: die Transzendenz einer feinstofflichen Gesamtaufnahme in der Gestalt einer literarischen Darbietung in die Form eines Aufnehmens, eines Eindrucks, einer Wahrnehmung und vielleicht sogar einer Mitteilung. Lyrikkonstrukte sind, so leicht und schön die Zeilen zuweilen erscheinen mögen, Ergebnisse anstrengender Arbeit. Dass ein Lyriker sich tagtäglich übend der Prosa widmet, hängt mit Effizienz zusammen, und von daher ist die Kombination »Lyrik und Prosa« in einem Band sehr gut zustande gebracht.

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Echte Lyrik ist anspruchsvoll!

Des Meisters und der Meisterin formale Konzentration fügt sich erst dann zu einem lyrischen Schatz, wenn sich die ganz präzise Formgebung mit ihrer Wertschätzung der Worte sowohl der Gestaltung und Fuge als auch der Wahrung des innigen Gefühls und der würdevollen Geste vor der Person, die man erreichen möchte, hingibt. Diese Meister-Lyriker lieben das Wort avant tout, und isolieren die Manipulation.

Machen neue Autoren Lyrik für die heutige Zeit lesbar?

Aus dem Elan heraus, die geliebte Lyrik nicht einer elitären Fachliteratur zugeordnet zu sehen, bemühen um die 50 Autoren sich in Lyrik und Prosa unserer Zeit oft ganz erstaunlich effektiv um diese Kunstform. Dass Lyrik etwas mit Jugend zu tun hat, spüren wir z.B. in der Wortfuge: Liebesleid von J. Koller (1982) in Bd. 6 N.F., S. 228: GEDANKEN, / SCHEINBILDER DER EXISTENZ, / FORMEN / UNBEWUSSTE UND DOCH GEWOLLT / ANTLITZ, / KÖRPER, / SZENEN MIT DIR.
Es folgt eine kontrapunktische Umformung, dann eine Steigerung, die kulminiert in: ZUR WECKUNG DES WAHREN, / DES EINZIGEN, / DES MÄCHTIGSTEN und beruhigt auf das Ursprungsgefühl hin schließt: ZUR WECKUNG / DER LIEBE.

Wie formuliert Lyrik die Negation?

F. J. Heinrich überrascht in dieser Hinsicht im selben Band mit bemerkenswerten minimalistischen Zeilen wie etwa auf den Seiten 190–191: »bei dem wirken / der windmacher«, »der vergangen / geglaubten geschichte« oder »den hunden zur beute / wir hinterlassen / was wir erbten / den glanz von scherben«. Der Lyriker arbeitet hier mit der Versetzung der Worte bei gleich bleibender Sinngebung und vermeidet Metamorphose. Christoph Völkel begründet in Bd. 7, S. 329, einen ZEN-Metabolismus in seinem Gedicht »Kleiner Gesang (In memoriam Hölderlin)«: »Auf zerbrochenen Krügen baden: / Zeit, die dich vergisst, / Gedanken auf fremden Pfaden, / Wonne, wenn es nichts ist, /endlos beladen. // Tage, die Schleier tragen, / Nächte: Gebirge ragen / dunkel in die Seele. / Schönheit, mit dir fällt / der Trug, und ich wähle / mir den Abgrund der Welt.« Christoph Kujawa (49), Student in Neuere Deutsche Literaturgeschichte und im Broterwerb Software-Entwickler, nimmt in Bd. 8, S. 135, eine eher konventionelle Prosa-Gattung aus Korn, und dies gekonnt sowohl lyrisch wie logisch: »stichwort // am fundort verlor sich die antwort. / man fand zwar das tatwort, / doch der sinn war entflohn, / der dichter untergetaucht – / sogar vom opfer, / so sagt man, / fehle jede spur.«
am bach komponiert Christoph Kujawa dann auf S. 140 rein formal eine Fuge, die sich in der Partitur seines Wortzaubers allein der Faszination der von gedanklicher Vorstellung konditionierten Sinneswahrnehmung hingibt und uns durch ihren Wortsog in den Strudel eines sensiblen Chaos’ hineintauchen lässt: »ausgeschwemmt im sog des fließens, / fortgespült, hinweggerauscht, / aufgelöst im klang der stille, / wortbefreit, gedankenleer. // wunschenthoben, wach umflossen, / losgelassen, mitgenommen, / aufgehoben, sanft umschlossen, / wasserwellenweiterwärts …«.

Der Schmelztiegel Philosophie – Lyrik

Es kann wie auf S. 58, Bd. 2, vorkommen, dass der Poet, hier Christoph S. Eberle, sich im Gefecht mit dem Philosophen befindet! Aus dieser misslichen Lage vermag er sich mit den Gaben seiner Natur, also mit dem Dichten, zu entfesseln. Er ziert sich zunächst: »Nachgefragt // Was ist euer Streben, / wohin mit Eitelkeiten?«, und stellt fest: »Gerade die Erfahrungen die ein Leben / verändern, veredeln, vertiefen, sind nicht / vorbestimmt«, ermuntert deshalb: »Erklimmt / den Gipfel eurer Möglichkeiten«, weil erst dann der Kenner sich erwiese: »und was in großer Klarheit / Schicksal ist, / weiß man immer erst, / wenn man zurückblickt.« Dann konstruiert der Dichter scheinbar einen Widerspruch (vielleicht sogar unbewusst!): »Unsre Freiheit / besteht nur darin zu entscheiden, / was uns bindet«, um dann mit einem tückischen Kunstgriff heftigste Gesellschaftskritik in den hier bestmöglichen Trotz-Schlussakkord einzubauen: »überwindet / die Kleinheit aller Weltgemeinden.«! (der Leser kann ja weiterdenken: z.B.: überwindet die Gemeinheit aller Kleinheit jeglicher Größe …).